Lancierung der Initiative und Forderungen

Indirekt und vor allem ungewollt verlieh ein erneuter Entscheid von Bundesrat Couchepin dem wachsenden Widerstand der Schweizer Haus- und Kinderärzte Flügel. Er senkte die Labortarife erneut um 20%, weil diese neu auf der Basis von Grosslabors berechnet wurden, was für die Kostenkalkulation eines Praxislabors nicht gelten kann. Der SGAM-Vorstand hatte bereits über eine Volksinitiative diskutierte. Nun war die Zeit gekommen.

  • Mitte Februar 2009 traf sich der SGAM-Vorstand mit drei Juristen Heinrich Koller, Thomas Gächter und Tomas Poledna. Die drei Experten erarbeiteten in der Folge einen ersten provisorischen Initiativtext.
  • An einer SGAM-Tagung auf dem Bürgenstock beschlossen die Anwesenden und deren Organisationen am 9. Mai 2009 einstimmig, die Volksinitiative «Ja zur Hausarztmedizin» zu lancieren. 

Der Initiativtext

Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert: Art. 118b (neu) Hausarztmedizin

  1. Bund und Kantone sorgen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für eine ausreichende, allen zugängliche, fachlich umfassende und qualitativ hochstehende medizinische Versorgung der Bevölkerung durch Fachärztinnen und Fachärzte der Hausarztmedizin.
     
  2. Sie erhalten und fördern die Hausarztmedizin als wesentlichen Bestandteil der Grundversorgung und als in der Regel erste Anlaufstelle für die Behandlung von Krankheiten und Unfällen sowie für Fragen der Gesundheitserziehung und der Gesundheitsvorsorge.
     
  3. Sie streben eine ausgewogene regionale Verteilung an, schaffen günstige Voraussetzungen für die Ausübung der Hausarztmedizin und fördern die Zusammenarbeit mit den übrigen Leistungserbringern und Institutionen des Gesundheits- und Sozialwesens.
     
  4. Der Bund erlässt Vorschriften über:
    • die universitäre Ausbildung, die berufliche Weiterbildung zur Fachärztin oder zum Facharzt sowie die klinische Forschung auf dem Gebiet der Hausarztmedizin;
    • den gesicherten Zugang zum Beruf und die Erleichterung der Berufsausübung;
    • die Erweiterung und die angemessene Abgeltung der diagnostischen, therapeutischen und präventiven Leistungen der Hausarztmedizin;
    • die Anerkennung und die Aufwertung der besonderen beratenden und koordinierenden Tätigkeiten für Patientinnen und Patienten;
    • administrative Vereinfachungen und zeitgemässe Formen der Berufsausübung.
       
  5. Der Bund trägt in seiner Gesundheitspolitik den Anstrengungen der Kantone und Gemeinden sowie der Wirtschaft auf dem Gebiet der Hausarztmedizin Rechnung. Er unterstützt sie in ihren Bestrebungen für einen wirtschaftlichen Einsatz der Mittel und die Sicherung der Qualität der Leistungen.

Forderungen der Initiative

Die wichtigsten Forderungen der Volksinitiative sind:

  • Hochstehende Aus- und Weiterbildung
  • Erleichterte Berufsausübung
  • Zweckmässige Praxis-Infrastruktur
  • Hausarztfreundliches Tarifsyste
  • damit wir auch in 15 Jahren noch Hausärztinnen und Hausärzte haben in der Schweiz.

Hausarztmedizin lohnt sich

In einer Publikation[1] untersucht das Schweizerische Gesundheitsobservatorium (OBSAN) die Entwicklung der Ausgaben der obligatorischen Krankenpflegeversicherung von 1998 bis 2010. In 13 Jahren sind die Kosten in allen Bereichen gestiegen, wobei die ambulanten Leistungen das zweitgrösste Wachstum nach der Kategorie Medikamente/ Material aufweisen.

Doch wie sieht es bei den verschiedenen Leistungserbringern dieser ambulanten Kategorie aus? 

  • Anstieg bei der Spitex: +7,8 % (Jahresdurchschnitt)
  • Bei ambulanten Spitalleistungen: +5,8 %
  • Bei der Fachmedizin: +4,0 %
  • Bei der Hausarztmedizin: +1,3 %

Eine einfache Schlussfolgerung: Die Hausarztmedizin ist kostengünstiger, und zwar deutlich (um das Drei- bis Sechsfache!). Dies ist nicht allein durch die vermehrte Inanspruchnahme von ambulanten Spitalleistungen und Fachärzten zu erklären.

[1] www.obsan.admin.ch/bfs/obsan/fr/index/01/02.html

Brauchen wir die Hausarztmedizin?

In der derzeitigen Debatte über unser Gesundheitssystem hat die Hausarztmedizin eine grosse Aktualität. Schliesslich ist sie die Drehscheibe der gesamten Behandlungskette. Der OBSAN-Bericht 2006 kommt nach der Analyse von mehreren hundert Studien zu diesem Thema zum Schluss, dass dank der Koordination durch den Hausarzt ein durchschnittlicher Effizienzgewinn von über 20% erwirtschaftet wird. Zahlreiche Untersuchungen belegen zudem, dass die Länder mit einer starken Hausarztmedizin bessere Outcomes und einen höheren Zufriedenheitsgrad aufweisen. Ferner gewährleisten diese Länder einen gerechteren Zugang zu medizinischer Versorgung und verursachen tiefere Kosten. In einer breit angelegten Literaturreview von 2007 (1) wurde die Senkung der Mortalität, unabhängig von der Ursache, für jeden zusätzlichen Hausarzt pro 10 000 Einwohner sogar zahlenmässig angegeben – mit einem Wert von 5.3%. Zwar handelt es sich um US-amerikanische Daten, dennoch sind sie so überzeugend, dass sie insbesondere zu der Reform des amerikanischen Gesundheits-
systems beigetragen haben. Wollen wir in der Schweiz also tatsächlich den entgegengesetzten Weg einschlagen?

(1) Macinko, Starfield, Int. Journal of Health Services, Ausgabe 37, S. 111-126, 2007