Hausärztemangel verschärft sich – Grundversorgung in der Schweiz akut gefährdet
Die fünfte Workforce-Studie zur haus- und kinderärztlichen Versorgung macht unmissverständlich klar: Der Mangel an Hausärztinnen und Hausärzten ist Realität und verschärft sich dramatisch. Schon heute sehen über drei Viertel der Befragten einen Mangel in ihrer Region. Bis 2030 muss fast ein Viertel der aktuell tätigen Hausärzt:innen ersetzt werden, bis 2035 sogar 40 Prozent.
Damit droht die Bevölkerung ihre wichtigste Anlaufstelle im Gesundheitssystem zu verlieren. Hausärztinnen und Hausärzte sind entscheidend für eine koordinierte, effiziente und qualitativ hochstehende Versorgung.
„Die Grundversorgung ist die tragende Säule unseres Gesundheitssystems. Wenn diese wegbricht, verlieren die Patientinnen und Patienten ihren ersten Ansprechpartner – und damit die Sicherheit einer kontinuierlichen, koordinierten und bezahlbaren Behandlung in den Haus- und Kinderarztpraxen“, warnt Monika Reber, Co-Präsidentin mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz.
Überalterung, sinkende Arbeitszeit, mehr Bürokratie
Die repräsentative Studie des Universitären Zentrums für Hausarztmedizin der Universität Basel zeigt mehrere besorgniserregende Trends:
- Überalterung: Das Durchschnittsalter der Hausärzt:innen liegt bei 52 Jahren, 13 % arbeiten bereits über das Pensionsalter hinaus.
- Sinkende Arbeitszeit: In den letzten 20 Jahren ist die wöchentliche Arbeitszeit von 50 auf 42 Stunden zurückgegangen – bei gleichzeitig wachsendem administrativem Aufwand.
- Weniger Patient:innenkontakte: Die Zeit für direkte Behandlungen ist seit 2005 um sechs Stunden pro Woche gesunken.
- Massiver Ersatzbedarf: Bis 2030 müssen 22 %, bis 2035 sogar 40 % der derzeit tätigen Hausärzt:innen ersetzt werden – das entspricht mehreren hundert Vollzeitstellen.
- Flächendeckender Mangel: Mehr als drei Viertel der Hausärzt:innen und eine Mehrheit der Kinderärzt:innen sehen in ihrer Region bereits heute einen Mangel.
„Wir sehen, dass Ärztinnen und Ärzte hoch motiviert sind und ihre Arbeit als sinnvoll erleben. Doch Bürokratie frisst immer mehr Zeit, die für die Patientinnen und Patienten fehlt. Das verschärft den Mangel zusätzlich und macht den Beruf weniger attraktiver für den Nachwuchs“, erklärt Studienautor Prof. Dr. Andreas Zeller, Universitäres Zentrum für Hausarztmedizin beider Basel.
Hausärzt:innen sind die Lösung – für Patient:innen und die Kosten
Ein bezahlbares und funktionierendes Gesundheitssystem ist nur mit einer starken Grundversorgung möglich. Hausärztinnen und Hausärzte stellen den niederschwelligen Zugang sicher, begleiten Patient:innen kontinuierlich über Jahre und koordinieren Behandlungen über Fachgebiete hinweg.
Sie können 94 Prozent aller Gesundheitsprobleme qualitativ hochstehend lösen – und verursachen dabei lediglich acht Prozent der Gesamtkosten. Damit fördern sie nicht nur die Gesundheit der Bevölkerung, sondern wirken massgeblich einem noch grösseren Anstieg der Gesundheitskosten entgegen. Ein Gesundheitssystem ohne starke Hausarztmedizin bedeutet mehr Belastung für Spitäler, höhere Ausgaben und weniger Gerechtigkeit beim Zugang zur Versorgung.
Drei zentrale Handlungsfelder, die höchste Priorität haben müssen
Die Studie nennt zentrale Ansatzpunkte, um die Grundversorgung langfristig zu sichern:
- Nachwuchs gewinnen und halten – mit mehr Ausbildungsplätzen, praxisnaher Weiterbildung und attraktiven Arbeitsmodellen.
- Bürokratie abbauen – regulatorische Lasten reduzieren, um mehr Zeit für Patient:innen zu schaffen.
- Digitalisierung sinnvoll nutzen – moderne IT und KI einsetzen, um Administration zu reduzieren und Effizienz zu steigern.
Die fünfte Workforce-Studie macht einmal mehr deutlich: Der Haus- und Kinderärztemangel ist ein strukturelles, landesweites Problem – und akut. Ohne entschlossenes Handeln drohen Versorgungslücken in Stadt und Land. Politik, Behörden, Aus- und Weiterbildungsstätten und Berufsverbände sind gefordert, jetzt die Weichen für eine nachhaltige Grundversorgung zu stellen.
„Die Hausärztinnen und Hausärzte sind die Lösung, nicht das Problem. Wer eine gute, gerechte und bezahlbare Versorgung will, muss die Grundversorgung stärken und rasch handeln“, fasst Sébastien Jotterand, Co-Präsident mfe, zusammen.